Wieso Tempo 30 an der Hauptstraße?

Dass die Situation an der Großenseebacher Hauptstraße insbesondere für die Anwohnerinnen und Anwohner herausfordernd und belastend ist, dürfte längst kein Geheimnis mehr sein. Aufgrund dieser Situation hatte der Bürgermeister eine schallimmissionstechnische Untersuchung der Verkehrsgeräuschimmissionen für die Ortsdurchfahrt in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse wurden in der Gemeinderatssitzung am 11.05.2023 präsentiert:

Zum Teil wurden die Schwellenwerte für gesundes Wohnen überschritten! Die gemessene Lärmbelastung durch das massive Verkehrsaufkommen (insbesondere durch den hoch frequenten LKW-Verkehr) geht aus Expertensicht in Richtung der Kategorie „gesundheitsgefährdend“. Es besteht also dringend Handlungsbedarf.

Allerdings hat die Gemeinde Großenseebach nur bedingt Handlungsmöglichkeiten, da es sich bei der Hauptstraße nicht um eine Gemeindestraße, sondern um eine Staatsstraße (St 2259) handelt. Hier liegt die ausschließliche Zuständigkeit beim Freistaat Bayern. Außerdem gibt es für Bestandsstraßen keinen Rechtsanspruch auf lärmreduzierende Maßnahmen. Dazu kommt, dass Maßnahmen wie bspw. eine Teilaufpflasterung (abschnittsweise Anhebung des Fahrbahnbelags um 8 bis 10 cm) einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeuten würden, dem keine dauerhaft zufriedenstellende Wirkung gegenüberstünde.
Die aus Sicht des Ingenieurbüros gewinnbringendste Lösung liegt in der Realisierung einer Geschwindigkeitsreduzierung von Tempo 50 auf Tempo 30.

Tempo 30 an der Hauptstraße könnte die Lärmbelastung um zwei bis drei Dezibel senken. Eine Reduzierung des Schallpegels um drei Dezibel entspricht nahezu einer Halbierung der Schallintensität. Tempo 30 würde für die Anwohnerinnen und Anwohner also eine deutlich spürbare Lärmreduzierung bedeuten.

> Tempo 30 behindert den Verkehrsfluss! Staus sind vorprogrammiert! <

Das stimmt so nicht! Maßgeblich für den Verkehrsfluss sind insbesondere Ampelkreuzungen (und deren Dauer von Grünphasen), Fuß- und Radverkehr, ÖPNV sowie Ein- bzw. Ausparkvorgänge. Diese Faktoren haben eine viel größere Wirkung auf den Verkehrsfluss und die Leistungsfähigkeit einer Hauptstraße als der mit der Geschwindigkeitsreduzierung einhergehende Zeitverlust.

Rechnerisch benötigt ein Fahrzeug bei konstantem Tempo 50 7,2 Sekunden für einen 100 m langen Straßenabschnitt und 12 Sekunden bei Tempo 30. Bei einer Länge der Großenseebacher Hauptstraße von ca. 940 m verlängert sich bei Tempo 30 die Fahrzeit dadurch um ungefähr 45 Sekunden.

Tempo 30 hat allerdings nahezu keine Auswirkungen auf die Verkehrsfluss an der Hauptstraße – denn nur, weil alle Verkehrsteilnehmer langsamer fahren, kommt es nicht automatisch zu Verkehrsstauungen. Die Hauptursache für Staus an Hauptverkehrsstraßen liegt in den o. g. Faktoren wie etwa Ampelschaltungen und Ein- bzw. Ausparkvorgängen, etc.

Auch in Bezug auf die Verkehrssicherheit ist die Einführung von Tempo 30 durchaus sinnvoll.
Grund: Der Anhalteweg bei einer Bremsung halbiert sich.

Das bedeutet: Ein Fahrzeug mit Tempo 30 steht bereits, während ein Fahrzeug bei Tempo 50 in der gleichen Situation noch unverändert mit 50 km/h unterwegs ist, weil der Fahrzeugführer rein rechnerisch erst nach 13,9 m reagiert. Wer langsamer fährt, kann außerdem mehr Details im Verkehrsraum wahrnehmen und somit in Gefahrensituationen früher reagieren. Davon würden an der Hauptstraße tagtäglich vor allem Schülerinnen und Schüler sowie Kindergartenkinder aber natürlich auch Radfahrer profitieren.

> An Tempo 30 wird sich niemand halten! <

Es ist nachgewiesen, dass Tempo 30 häufiger überschritten wird als Tempo 50. Allerdings hat Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen in der Mehrheit der untersuchten Fälle auch ohne Begleitmaßnahmen eine geschwindigkeitssenkende Wirkung. Denn bei Tempo 30 schneller als 50 km/h zu fahren, kostet mehr Überwindung als bei Tempo 50. Bei Messungen an einer vierspurigen Straße in Mainz  fuhren bei Tempo 50  rund ein Drittel der Fahrzeuge schneller als 50 km/h, wohingegen es bei Tempo 30 nur noch 6 % waren.

Die mittlere Geschwindigkeit bei einer Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h  (auch ohne Geschwindigkeitskontrollen oder andere Begleitmaßnahmen) nimmt also ab – lt. Berechnungen sogar um bis zu 16 km/h. Selbst, wenn sich Verkehrsteilnehmer demnach nicht durchgehend an Tempo 30 halten, ergibt sich ein geschwindigkeitssenkender und damit auch lärmreduzierender Effekt. Auch drei Jahre nach einer Tempo-30-Anordnung wurden bei Langzeitmessungen noch abnehmende mittlere Geschwindigkeiten festgestellt.

Sollte Tempo 30 an der Hauptstraße eingeführt werden, bedeutet das also für alle Verkehrsteilnehmer eine Umstellung. Je länger Tempo 30 allerdings besteht, desto besser wird die Geschwindigkeitsregelung eingehalten.

Tempo 30 ist eine gute Lösung, um die Lärmbelastung für Anwohner signifikant zu reduzieren und das Wohnen an der Hauptstraße lebenswerter zu machen. Zugleich wird das Unfallrisiko minimiert sowie der Schul-  und Arbeitsweg für alle Verkehrsteilnehmer sicherer.

Gesundheit und Menschenleben sollten wichtiger sein
als 45 Sekunden Zeitverlust.

Der Antrag auf eine Geschwindigkeitsreduzierung von Tempo 50 auf Tempo 30 an der Hauptstraße, den der Gemeinderat in der Sitzung vom 15.06.2023 einstimmig beschlossen hat, liegt der Unteren Verkehrsbehörde des Landratsamtes vor. Wir warten gespannt auf eine Entscheidung.

Alle Zahlen, Daten und Fakten (inkl. Grafik) stammen aus der Broschüre „Wirkung von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen“ des Umweltbundesamtes. Diese finden Sie unter folgendem Link: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wirkungen-von-tempo-30-an-hauptverkehrsstrassen.

2 Gedanken zu „Wieso Tempo 30 an der Hauptstraße?

  • 18. April 2024 um 21:22
    Permalink

    Hallo,
    die oben aufgezählten Fakten sind ja wirklich lesenswert! Auch, dass der Gemeinderat den Antrag einstimmig beschlossen hat, verdient Respekt und ist bei weitem nicht selbstverständlich!

    Die Zuständigkeit liegt aber doch eher beim Straßenbauamt als beim Landratsamt, oder irre ich mich da?
    Gab es denn seit Abgabe des Antrags schon eine Reaktion bzw. eine Antwort? So richtige „harte Fakten“ wie „die Leichtigkeit des fließenden Verkehrs muss gewährleistet sein“ oder anderes?

    Ich bin auch Anwohner einer Staatsstraße im Landkreis Forchheim und kann den Frust über Ablehnungen aller Arten von Lärmbegrenzungen sehr gut nachempfinden. Viel Glück kann ich den Großenseebachern nur wünschen, ich drücke die Daumen!

    Antwort
    • 20. April 2024 um 12:50
      Permalink

      Guten Tag Herr Heede,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Vor kurzem erhielt die Gemeinde eine Antwort bzgl. Tempo 30 an der Hauptstraße. Hier ein sinngemäßer Auszug aus dem Schreiben des Landratsamtes Erlangen-Höchstadt:

      Die Regierung von Mittelfranken sieht nach Prüfung des Sachverhaltes keinen Bedarf für eine Geschwindigkeitsreduzierung, da die Lärmbeeinträchtigung aus ihrer Sicht „ortsüblich hinnehmbar und zumutbar“ erscheint. Zudem sei das Unfallgeschehen zu „unauffällig“, als dass eine sog. qualifizierte Gefahrenlage die Anordnung von Tempo 30 rechtfertigen würde.

      Mit dieser Antwort gibt sich die Gemeinde allerdings nicht zufrieden und prüft aktuell, welche Möglichkeiten des Widerspruchs in Betracht kommen.
      Das Schreiben des Landratsamtes in ungekürzter Form finden Sie zum Nachlesen in der aktuellen Ausgabe des gemeindlichen Mitteilungsblattes ab Seite 26: https://www.vg-hessdorf.de/_Resources/Persistent/3/5/2/3/3523a11e9b4e325f8c914658d7360af66ee82e20/vg-hessdorf-mitteilungsblatt_2024-04-april.pdf

      Viele Grüße!

      Antwort

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